Dr. Wolfgang Zimmerling, Saarbrücken

Anmerkung zu
BVerwG, Urt.v. 22.02.2002
– 6 C 11.01 -

I.

Das OVG Saarlouis hat mit Urt.v.29.01.2001 – 3 R 230/00 - die Auffassung vertreten, aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 18 Abs. 1 Satz 3 HRG ergebe sich die Verpflichtung der Hochschule zum Erlass einer Diplomierungssatzung für Juristen, die ausschließlich das erste juristische Staatsexamen bestanden haben ("sogenannte mit Erfolg geprüfte Rechtskandidaten"). Weiterhin hat das OVG Saarlouis die Auffassung vertreten, dass eine derartige Diplomierungssatzung alle diejenigen erfassen müsste, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands das juristische Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen haben, da es seit dieser Zeit den "Diplom-Juristen" in Deutschland gibt (ausführlich zu dieser Entscheidung des OVG Saarlouis Zimmerling, in: Friese (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit im Saarland – Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts in Saarlouis, 2002, S. 177 ff.). Im Anschluss an diese Entscheidung des OVG Saarlouis haben z.B. die Universität Göttingen den "Diplom-Juristen" (siehe hierzu Pressemitteilung in JuS 2001, Heft 8, S. XXIV) und der Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz des Hochschulgrad "Diplom-Theologe" (siehe hierzu Saarbrücker Zeitung vom 06.11.2001, S. C 3) eingeführt.

II.

Das BVerwG hat demgegenüber zu Recht die Auffassung vertreten, dass sich aus § 18 Abs. 1 Satz 3 HRG unmittelbar keine Rechte herleiten lassen. Aus der entsprechenden landesgesetzlichen Regelung in § 75 Abs. 2 UG Saar lasse sich nicht herleiten, dass bei der Neueinführung eines Hochschulgrades dessen Verleihung auch an Personen erwogen worden ist, die die Hochschule nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums bereits verlassen haben. Das BVerwG hat bedauerlicherweise – aus seiner Sicht sicherlich vertretbar, der Rechtssicherheit jedoch nicht dienlich – offengelassen, ob sich aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht des Inhalts ergebe, "die normative Ausgestaltung eines Berufsbildes an Veränderungen der Berufswelt dadurch anzupassen, dass es zu Gunsten der Angehörigen dieses Berufes geändert oder um einzelne Regelungselemente ergänzt wird." Für das BVerwG war entscheidend, dass eine derartige Verpflichtung nur dann in Betracht zu ziehen wäre, - wenn das Unterbleiben derartiger Änderungen oder Ergänzungen die Wahl und/oder die Ausübung des Berufs unverhältnismäßig erschwerte. Dies wurde im konkreten Fall verneint. Der Kläger hatte nach Auffassung des BVerwG zu den Auswirkungen der etwaigen Verleihung des akademischen Grades "Diplom-Jurist" auf sein berufliches Fortkommen nicht ausreicheichend vorgetragen.

III.

Sämtliche Hochschulgrade (mit Ausnahme des "Dr. h.c.", siehe hierzu Zimmerling, WissR 1996, 320 ff) unterfallen dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, und zwar zumindest – in Anwendung der Stufentheorie des BVerfG – auf der Ebene der Berufsausübung. Dies wird deutlich bei der Untersagung der Führung eines ausländischen akademischen Grades oder dem Entzug eines akademischen Grades wegen Unwürdigkeit (siehe z.B. BVerfG, NJW 1999, 2730; Zimmerling, Akademische Grade und Titel, 2. Aufl. 1995, Rz 120 ff). Das BVerfG hat weiterhin judiziert, dass Art. 12 Abs. 1 GG die Hochschule nicht verpflichtet, ihren Studenten die Wahl mehrerer Schwerpunktfächer im Sinne des Prüfungsordnung zu gestatten, mit der Folge, das mehrere Diplomarbeiten geschrieben werden dürfen, mehrere Abschlusszeugnisse zu erteilen und mehrere akademischen Grade zu verleihen wären (BVerfG, NVwZ-RR 1995, 666). Den akademischen Graden – gleich ob Diplom oder Doktorgrad – kommt im Berufsleben eine erhebliche Bedeutung zu; so hat das OVG Saarlouis zu Recht darauf verwiesen, dass eine Vorentscheidung eines Arbeitgebers naheliegend ist, für den Anstellungsvertrag in erster Line auf den akademischen Grad abzustellen (siehe hierzu BAG, MDR 1984, 873; BVerfG, DVBl. 2000, 1050). Weiterhin werden akademische Grade in Personenstandsbücher und Urkunden eingetragen.

Es gibt keinen "Numerus clausus" der akademischen Grade (Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl. 1986, Rz 335, ff, 338). Durch die Neuregelung des § 19 HRG (geändert durch Gesetz vom 20.08.1998, BGBl. I, S. 2190) können die Hochschulen nunmehr auch den Bachelor- oder Bakkalaurius-Grad sowie den Master- oder Magistergrad verleihen. Es ist wenig einsichtig, wenn ein Student nach einem 6-semestrigen Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule zwar den B.A. (Bachelor- oder Bakkalaurius-Grad) erwerben kann, hingegen ein Student der Rechtswissenschaft nach einem erfolgreich abgeschlossenen 8-semestrigen Studium keinen Hochschulgrad erhält.

Zu klären bleibt die Reichweite des Teilhaberrechtes aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot (grundlegend BverfGE 33, 303 ff). Hiernach gewährleisten die Grundrechtsbestimmungen das Recht des die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllenden Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl. Nach Zulassung zum Hochschulstudium hat der Student einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ausbildung, um innerhalb der Regelstudienzeit die Abschlussprüfung ablegen zu können. Gegebenenfalls kann der Student unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG die Zulassung zu einem Praktikum mit internem Numerus clausus erstreiten (siehe z.B. VGH Kassel, NJW 1990, 2336). Weiterhin hat der Student nach Absolvierung des Studiums ein sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebendes "Recht auf Prüfung" (BVerwG, NJW 1974, 573; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl. 2001, Rz. 111).

Das sich aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Sozialstaatsprinzip ergehende Teilhaberrecht des Studenten ist im Ergebnis wertlos, wenn dem Studenten nicht bei erfolgreichem Abschluss des Studiums eine entsprechende Qualifikation bescheinigt wird. Vordergründig mag insoweit ein Zeugnis ausreichen, in welchem der Student als "Rechtskandidat" bezeichnet wird. Wenn indes die Absolventen einer Hochschulprüfung mit erfolgreichem Abschluss ihres Studiums einen Hochschulgrad erhalten, ist im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ersichtlich, mit welcher Begründung demjenigen Studenten, der sich einer staatlichen Prüfung nach den gesetzlichen Bestimmungen unterziehen musste, die Verleihung eines Hochschulgrades verwehrt wird. Der Teilhabeanspruch ist von der Hochschule zu erfüllen. Wenn der Student nach Absolvierung eines Hochschulstudiums üblicherweise den Diplomgrad erhält, hat im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechendes für den Studenten der Rechtswissenschaft zu gelten, der das erste juristische Staatsexamen beim Staatlichen Landesprüfungsamt für Juristen bestanden hat. Von daher ist die Hochschule verpflichtet, eine entsprechende Diplomierungssatzung bereits von Verfassungswegen zu erlassen.

IV.

Nichtsdestotrotz hat das BVerwG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass die (nachträgliche) Diplomierung für seine Berufsausübung zumindest vorteilhaft ist. Auf das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG kann sich natürlich nur derjenige berufen, dem dieses Grundrecht zukünftig irgendeinen Vorteil verschafft. Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht tangiert, wenn – überspitzt ausgedrückt – ein vor Jahrzehnten mit Erfolg geprüfter Rechtskandidat, der zwischenzeitlich sich im Ruhestand befindet, lediglich erreichen will, dass in der Todesannonce oder auf dem Grabstein dem Namen auch ein akademischer Grad beigefügt werden kann. Von daher bleibt offen, welche Voraussetzungen ein Kläger erfüllen muss, um im Gerichtsverfahren den Erlass einer Diplomierungssatzung zu erfüllen.

Hiervon unabhängig ist jedoch die Frage, ob und gegebenenfalls welche Stichtagsregelung die Hochschule bei Erlass einer Diplomierungssatzung wählt. Wie weit kann oder muss die Hochschule in die Vergangenheit zurückgehen? Hierbei ist zu beachten, dass es eine Reihe von Juristen gibt, die zwar das Erste Juristische Staatsexamen absolviert haben, die jedoch – aus welchen Gründen auch immer die Referendarzeit nicht mit dem Assessorexamen abgeschlossen haben. Dies gilt beispielsweise für zahlreiche Frauen, die während der Referendarzeit Kinder bekommen haben und den erstmaligen Einstieg in das Berufsleben erst 10-20 Jahre später getätigt haben, nachdem nämlich die Kinder genügend alt waren. So ist es denkbar, dass diese Frauen sich bei juristischen Fachverlagen um eine Lektoratstelle bewerben wollen, es ist genauso denkbar, dass sie für Zeitschriften arbeiten und über die Entwicklung des Rechtslebens oder von Gerichtsverfahren berichten wollen. Gerade bei einer Tätigkeit im Ausland wäre das Vorweisen eines Diplomtitels von Vorteil. Die auch grundgesetzlich normierte Verpflichtung zur Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen (vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) verbietet eine zu enge Stichtagsregelung.

Rein vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass es nicht um eine "Nachdiplomierung" geht. Die Nachdiplomierung (vor allem bei Fachhochschulen) wurde vielfach als "Rechtswohltat" bezeichnet (BVerwG, KMK-HSchR 1983, 834; OVG Saarlouis, Beschl.v. 19.03.1992 – 8 N 4/91 -). Vorliegend hat der "mit Erfolg geprüfte Rechtskandidat" einen verfassungskräftigen Rechtsanspruch auf (Nach-)Diplomierung. Das BVerwG hat zwar insoweit einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verneint und die Behauptung aufgestellt, es gäbe Gründe für eine Ungleichbehandlung insbesondere gegenüber Hochschulabsolventen in anderen Studiengängen. Dem ist entgegenzuhalten, dass seit Anfang der 90-er Jahre an Fachhochschulen der akademische Grad eines Diplom-Juristen erworben werden kann (siehe hierzu Martin, ZRP 1993, 465 sowie Krimphove, ZRP 1996, 248). Es ist nicht einsichtig, dass das Studium des "Wirtschaftsrechts" an einer FH mit dem akademischen Grad "Diplom-Jurist" abgeschlossen werden kann, nicht jedoch das Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität. Entgegen der Auffassung des BVerwG wird man deshalb seit Anfang der 90-er Jahre, seitdem die Fachhochschulen den akademischen Grad "Diplom-Jurist" verleihen, von einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ausgehen müssen.